Thomas Dyhr (GRÜNE): 16. Februar 2014

Im Koalitionsvertrag der großen Koalition wurde vereinbart, dass Schienenlärm bis 2020 deutschlandweit halbiert werden soll.

“…Ab diesem Zeitpunkt sollen laute Güterwagen das deutsche Schienennetz nicht mehr befahren dürfen. Die Bezuschussung für die Umrüstung auf lärmmindernde Bremsen setzen wir fort. Den Stand der Umrüstung werden wir 2016 evaluieren. Sollte bis zu diesem Zeitpunkt nicht mindestens die Hälfte der in Deutschland verkehrenden Güterwagen umgerüstet sein, werden wir noch in dieser Wahlperiode ordnungsrechtliche Maßnahmen auf stark befahrenen Güterstrecken umsetzen, z.B. Nachtfahrverbote für nicht umgerüstete Güterwagen…”

…heißt es im Koalitionsvertrag der großen Koalition. Diese Vorhaben sind zu begrüßen. Versprechen Sie doch – soweit sie wirklich umgesetzt werden sollen – Abhilfe bei einem drängenden Umweltproblem, welches auch die Gesundheit der betroffenen Menschen gefährdet.

Die Reaktion der Transportbranche ließ nicht auf sich warten.

Wie der Wiesbadener Kurier schreibt, startete die Branche den Gegenangriff:

“…Die Transportbranche rebelliert. Der Zeitraum sei zu knapp, heißt es in einer Pressemitteilung des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Die Branche habe die Umrüstung der Hälfte ihrer Güterwagenflotte bis 2017 längst zugesagt. Schneller gehe es angesichts der verfügbaren Bremssohlen und der wirtschaftlichen Möglichkeiten nicht, erklärte VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff…

Der VDV hat unterdessen eine Studie an der Technischen Universität Aachen in Auftrag gegeben, die die betrieblichen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Fahrverboten und Geschwindigkeitsreduzierungen im Schienengüterverkehr untersucht.

Es sei nicht zielführend, dass Schienengüterverkehrsunternehmen wegen der Umrüstung in ihrer Existenz bedroht würden.

Außerdem werde ein Nachtfahrverbot auch die Fahrgäste treffen. Sie müssten Verspätungen erdulden, weil Güterzüge, die nachts nicht fahren dürften, dann tagsüber unterwegs seien, erklärt Wolff….” Pressemeldung des VDV

Ehrlich gesagt ärgert mich eine solche Meldung, weil sie suggeriert, dass es ein naturgegebenes Recht der Transportbranche sei, die Umwelt zu verlärmen. Ich möchte auf einige Argumente der Branche aus der Pressemeldung eingehen und sie erwidern:

“…Bei solchen Festlegungen müssen die unternehmerischen und betrieblichen Zeiträume im Vordergrund stehen und nicht der Blick auf die kommende Bundestagswahl…”

Nein Herr Wolf – die Branche hatte lange genug Zeit, sich um lärmmindernde Maßnahmen zu kümmern. Das Problem ist immerhin bereits sehr lange bekannt. Wenn das Problem verschlafen wurde oder mangels politischen Druck mit Rücksicht auf die Renditen nicht in Angriff genommen wurde, dann hat die Branche jetzt die Suppe auszulöffeln, die sie sich infolge unternehmerischer Entscheidungen selber eingebrockt hat. Mitleid verdient sie hierfür sicherlich nicht.

“…Und solche Sanktionen wie Nachtfahrverbote hätten katastrophale Folgen für den gesamten Eisenbahnverkehr, weil viele Gütertransporte dann tagsüber stattfinden und so den Personenverkehr beeinträchtigen…“

Auch hier Widerspruch, Herr Wolf!

Wenn die Züge keinen Platz mehr im Fahrplan haben, dann müssen sie halt im Depot stehenbleiben. “Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben…”, hat mal ein bekannter sowjetischer Staatsmann gesagt, dem Deutschland viel zu verdanken hat.
So funktioniert nun einmal Marktwirtschaft.

Es ist kein Naturgesetz, dass zu jeder Zeit jeder Waggon über die Schienen lärmen darf.

“…Allein die Umrüstung der rund 180.000 Güterwagen auf die Flüsterbremse kostet aber rund 300 Millionen Euro. Hinzu kommen nach Berechnungen der Branche betriebliche Mehrkosten zwischen 700 und 800 Millionen Euro bis zum Jahr 2020. „Die Unternehmen sind bereit, diese Investitionen anzugehen, um die Lärmbelastung durch Schienengüterverkehr noch schneller spürbar zu mindern. Das geht aber nicht ohne zusätzliche Förderung durch den Bund, denn solche Kosten überfordern die Unternehmen. Wir haben dem Bundesverkehrsministerium deshalb vorgeschlagen, die betrieblichen Mehrkosten über fünf Jahre befristet zu fördern“, erklärt Wolff. ..”

Auch hier Widerspruch! Das sind Investitionen, die die Branche zu leisten hat, um nicht die veralteten und abgeschriebenen Züge verschrotten zu müssen und diese weiter fahren lassen zu können, bzw. um erhöhte Trassenpreise zu sparen. Es ist kein Grund erkennbar, weshalb der Staat diese schlicht erforderlichen betrieblichen Investitionen über die normalen steuerliche Abschreibung hinaus alimentieren soll.

Vordringliche Aufgabe des Staates muss es sein, die zusätzlich erforderlichen Lärmschutzmaßnahmen an der Infrastruktur – den Schienenwegen – zu bezahlen und damit hat er genug zu tun.

“…Das Thema Schienenlärm ist vor allem für die Betroffenen sehr emotional besetzt. Vielleicht hat die Bundesregierung auch deshalb überzogene Vorgaben und Konsequenzen in den Koalitionsvertrag formuliert…”

Das Thema ist emotional besetzt, weil die Branche sich rücksichtslos auf Kosten der Gesundheit Betroffener bereichert, um das mal ganz klar zum Ausdruck zu bringen!

Die erwiesenermaßen auf nächtlichen Lärm zurückzuführenden Gesundheitsstörungen schlagen sich zwangsläufig in den Gesundheitskosten nieder, für welche die Transportbranche keinen Cent extra zahlt. Das ist alles Andere, als das Verursacherprinzip.

“…Es darf nicht sein, dass Schienengüterverkehrsunternehmen in ihrer Existenz bedroht werden, weil sie die Umrüstung und den Betrieb der neuen Bremsen nicht finanzieren können….”

Wo ist da ein Gedanke an die erhöhte Mortabilität von Lärmopfern?

Sind die Menschenleben weniger bedeutsam, als die Existenz von Unternehmen?

Wenn die Schienengüterverkehrsunternehmen im Übrigen wie behauptet in der Existenz bedroht wären, weil sie gezwungen werden, endlich das in Angriff zu nehmen, was sie schon längst hätten in Angriff nehmen müssen, dann ist ihr Problem die Folge unternehmerischer Fehlentscheidungen!
Aber schauen wir doch einmal nach, was es mit der angeblichen Existenznot auf sich hat. So schreibt zum Beispiel die VTG AG in ihren letzten Zwischenbericht vom 30.09.2013:

“…An unserer Prognose für das laufende Geschäftsjahr halten wir unverändert fest. Bei einem Umsatz von 780 Mio. Euro und 830 Mio. Euro wird sich das EBITDA im unteren Bereich der zu Beginn des Jahres erwarteten Spanne von 180 Mio. Euro bis 190 Mio. Euro bewegen. Damit zeichnet sich unser Geschäftsmodell einmal mehr als sehr robust aus. An diese Entwicklung wollen wir auch in Zukunft anknüpfen…”

Wo ist da eine Zeile von Existenznöten?

Zu lesen ist in dem Zwischenbericht dagegen, dass die Investitionen der VTG gegenüber dem Vorjahr um 14,9 % heruntergefahren wurden – wo sind denn da die Anstrengungen, die kommenden Umrüstungen der Zukunft vorzunehmen?
Wenn der Zeitplan für die Umrüstung tatsächlich zu knapp wäre, würde ich eher eine Steigerung der Investitionen erwarten, aber keine Senkung!
Ich sehe hier viel mehr den Versuch, durch politische Lobbyarbeit auf die Bremse steigen zu wollen, um die erhöhten Investitionen für die Umrüstung zu sparen.

Massiver politischer Druck ist erforderlich, weil nicht nur Waggons inländischer Unternehmen über die Schienen donnern, sondern der Güterfernverkehr auch zum großen Teil von internationalen Anbietern abgewickelt wird, welche letztlich nur durch ordnungsrechtliche Maßnahmen zu fassen sind. Investitionsentscheidungen müssen politisch erzwungen werden, wenn sie nicht aufgrund eigener Prioritätenentscheidungen der Vorstände getroffen werden.

Abschließend kann man sich im Interesse der vielen lärmgeplagten Bürger nur wünschen, dass die Politik gegenüber diesem durchsichtigen Lobbygeschwätz standhaft bleibt.

Der Mensch und seine Gesundheit müssen Vorrang haben vor Wirtschaftsinteressen!

 

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