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Krach der Bahn trifft mehr Menschen als Fluglärm

Politikredakteur
Entlang vieler Bahnstrecken wird ein Lärm gemessen, unter dem gerade nachts sehr viel mehr Menschen zu leiden haben als unter Fluglärm Entlang vieler Bahnstrecken wird ein Lärm gemessen, unter dem gerade nachts sehr viel mehr Menschen zu leiden haben als unter Fluglärm
Entlang vieler Bahnstrecken wird ein Lärm gemessen, unter dem gerade nachts sehr viel mehr Menschen zu leiden haben als unter Fluglärm
Quelle: Infografik Die Welt, DB Umweltzentrum
Güterzüge bringen auf zahlreichen Strecken in Deutschland die Menschen um den Schlaf. Das will eine Abgeordnetengruppe im Bundestag jetzt schnell ändern – „damit die Stimmung nicht umkippt“.

Laut ist es nicht nur am Rhein zwischen Bingen und Koblenz. Auch in Franken wird nachts zwischen Fürth und Bad Kissingen entlang von Eisenbahnstrecken ein Schallpegel von mehr als 75 Dezibel (dB) gemessen. Genauso bei Weinheim in Baden-Württemberg sowie zwischen Hannover und Hamburg.

Dort und andernorts ist bei der Vorbeifahrt von Güterzügen noch in 30 bis 40 Metern Entfernung ein Lärm zu hören, der dem eines Staubsaugers in unmittelbarer Nähe entspricht. Wer könnte schlafen, wenn neben dem Bett gesaugt wird?

Viele Menschen aber müssen zu schlafen versuchen, während Züge rattern. Rund zwei Millionen Deutsche sind in der Nacht einem Eisenbahnlärm ausgesetzt, der über 70 dB und damit im sogenannten Belästigungsbereich liegt. Schienenkrach trifft dabei deutlich mehr Menschen als Fluglärm.

Laut Umweltbundesamt sind nachts nur 205.000 Deutsche von einem Flugzeugdröhnen über 50 dB betroffen und haben somit gesetzlichen Anspruch auf Lärmschutz. Hingegen wird diese 50-dB-Grenze bei über acht Millionen Bürgern durch Schienenlärm überschritten. Denn für Güterzüge gibt es anders als für Flugzeuge kein Nachtverkehrsverbot, und viele Bahnstrecken führen durch Dörfer und Städte.

Im Rheintal kriegen Politiker viel zu hören

Deren Bewohnern will nun im Bundestag eine „Abgeordnetengruppe Schienenlärm“ helfen. Die knapp 90 Parlamentarier aus allen Fraktionen, die sich am kommenden Dienstag erstmals treffen, wollen durch Informationsaustausch und koordinierte Initiativen dazu beitragen, „dass die Bahn schneller leise wird, insbesondere im Schienengüterverkehr“, wie es im Positionspapier heißt.

Verfasst wurde es von drei Abgeordneten, zu deren Wahlkreisen das Mittelrheintal gehört: Erwin Rüddel (CDU), Detlev Pilger (SPD) und Tabea Rößner (Grüne). Weil am Rhein täglich insgesamt bis zu 500 Züge links und rechts des Flusses fahren, kriegen jene drei Politiker viel zu hören. „Die Belastung durch den Lärm gerade in der Nacht ist in den letzten Jahren immer größer geworden und an vielen Orten einfach nicht mehr zumutbar“, sagte Erwin Rüddel der „Welt“.

Zwar wüssten die Leute dort „mit der Bahn zu leben“ und hätten „nichts gegen Eisenbahnverkehr“. Auch das Positionspapier betont: „Wir sind nicht gegen die Bahn!“ Aber „damit die Stimmung nicht umkippt“, wie Rüddel sagt, müsse man „am Rhein genauso wie an vielen anderen Orten mehr für den Lärmschutz tun“.

Rund zwei Millionen Deutsche sind in der Nacht einem Eisenbahnlärm ausgesetzt, der über 70 dB und damit im sogenannten Belästigungsbereich liegt
Rund zwei Millionen Deutsche sind in der Nacht einem Eisenbahnlärm ausgesetzt, der über 70 dB und damit im sogenannten Belästigungsbereich liegt
Quelle: Polizei

Dazu gehöre, dass Güterwagen schneller mit „Flüsterbremsen“ ausgestattet werden. Alte Waggons haben eine Graugussbremse, deren Metall direkt auf das Rad greift und dieses aufraut. Das macht Krach, und der setzt sich nach dem Bremsen fort. Denn raue Räder rollen lauter und machen die Schienen rau, sodass auf denen auch glatte Räder rumpeln. Spätestens wenn raue Räder über raue Schienen rattern, kracht es gewaltig.

Neue Bremsen schonen Rad und Schiene

Neue Güterwagen haben eine Komposit-Bremse (K-Sohle), deren Verbundwerkstoffe die Räder viel weniger beanspruchen. Aber die Umrüstung auf die K-Sohle kostet pro alten Waggon 5000 bis 7000 Euro. Darum werden alte Waggons auf die billigere und leichter auszutauschende LL-Sohle („Low noise, low friction“) umgerüstet. Auch die schont das Rad und schlägt beim nachträglichen Einbau mit nur 2000 Euro zu Buche. Das müssen die Unternehmen nicht allein bezahlen: Der Bund fördert die Umrüstung mit insgesamt 150 Millionen Euro.

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Kräftig genutzt hat dies die Deutsche Bahn, deren Logistiktochter DB Schenker rund 60.000 der 180.000 in Deutschland verkehrenden Güterwagen gehören. Auch aufgrund eigener Investitionen dürfte es bei diesen 60.000 DB-Schenker-Wagen wohl gelingen, das Ziel des Koalitionsvertrags zu erreichen, wonach 2016 „mindestens die Hälfte der in Deutschland verkehrenden Güterwagen umgerüstet“ sein soll.

Anders aber ist es bei den meisten privaten Konkurrenten sowie den ausländischen Staatsbahnen, auf die sich die übrigen 120.000 Güterwagen auf deutschen Schienen verteilen. Zwar könnten auch sie Fördermittel erhalten. Aber sie zögern bei der Umrüstung auf die LL-Sohle.

Bremst Brüssel beim Lärmschutz?

Denn die LL-Sohle verschleißt schnell, produziert also höhere Betriebskosten. Zu denen gibt es keine Zuschüsse, weil das Bundesverkehrsministerium eine Förderung bei Betriebskosten für unvereinbar mit dem EU-Beihilferecht hält.

Doch verhandeln derzeit Verkehrspolitiker des Bundestages in Brüssel über eine Aufnahme auch jener Betriebskosten ins Förderprogramm und erhalten dort eher positive Signale. Allerdings kann dies zur weiteren Verzögerung der Umrüstung führen. Denn wenn Unternehmen wittern, dass irgendwann auch Betriebskosten förderfähig sind, warten sie bis zum endgültigen Bescheid, weil danach mehr Geld für die Umrüstung zu bekommen wäre.

Hinzu kommen Zweifel, ob der Verzicht auf eine Umrüstung für die Unternehmen Konsequenzen hätte. An sich ist das geplant: Laut Koalitionsvertrag soll 2016 das staatliche Förderprogramm evaluiert werden, und wenn dann das 50-Prozent-Ziel bei den leisen Bremsen nicht erreicht ist, wollen Union und SPD „noch in dieser Wahlperiode zum Beispiel Nachtfahrverbote für nicht umgerüstete Güterwagen“ verhängen.

Die neue Abgeordnetengruppe macht sich für diese Sanktionsdrohung stark, aber ob die umgesetzt wird, ist offen. Denn zum einen bestände dann die Gefahr, dass noch mehr Gütertransporte auf die Straßen verlagert werden.

Zum andern sieht die EU solche nationalen Verbotsalleingänge gar nicht gern. Auch nicht im Nicht-EU-Land Schweiz. Dort soll ab 2020 für laute Güterwagen ein Durchfahrverbot gelten. Doch zu hören ist, dass in Brüssel Druck auf Bern ausgeübt wird, dieses Verbot zu lockern. „Wenn das geschähe“, befürchtet Rüddel, „hätten wir in Deutschland kaum noch ein Druckmittel. Deshalb sollte Deutschland den Schweizern in diesem Streit den Rücken stärken und zudem im Inland alles tun, um die Umrüstung zu beschleunigen.“

Kein Schienenbonus beim Krach

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Zu den weiteren Forderungen der Gruppe gehören präzisere Lärmmessungen, eine weitere Erhöhung der Trassengebühren für laute Waggons sowie der komplette Wegfall von Eisenbahnprivilegien beim gesetzlich vorgeschriebenen Lärmschutz. Bei dem gab es früher einen generellen Schienenbonus von fünf dB, was bedeutete, dass eine Verpflichtung zu Maßnahmen – etwa Lärmschutzwände, geräuscharme Gleise oder „Entdröhnung“ von Stahlbrücken – in Wohngebieten nicht schon bei 49 Dezibel wie bei anderen Krachquellen bestand, sondern erst bei 54 dB.

Dieser Schienenbonus wurde für Neu- und Ausbaustrecken mittlerweile aufgehoben. Er gilt aber weiter bei unveränderten Bestandsstrecken. Seine „Abschaffung“ auch dort fordert nun die Parlamentariergruppe. „Die betroffenen Anwohner“, so das Positionspapier, „müssen einen Rechtsanspruch auf Lärmschutz haben.“

Bisher gibt es für Anwohner von Bestandsstrecken nur das freiwillige Lärmsanierungsprogramm des Bundes und der Bahn mit deutlich höheren dB-Grenzwerten. Hierfür sind 2015 im Bundeshaushalt 100 Millionen Euro eingeplant.

Die Lärmsanierung zieht sich hin

Nach Angaben der Bahn besteht bei insgesamt 3700 Kilometern ein erhöhter Bedarf an Lärmschutz. Mittlerweile installiert wurde dieser bei rund 1500 Kilometern, zumal am Mittelrhein, aber beim Rest zieht es sich. 2020 werden wohl erst 2000 der 3700 Kilometer lärmsaniert sein.

„Wir müssen Geld in die Hand nehmen“, fordert die SPD-Abgeordnete Annette Sawane, Berichterstatterin ihrer Fraktion bei dem Thema. Es gebe mittlerweile „sehr viele technische Möglichkeiten“, mit denen die Bahn leiser gemacht werden könne. „Wir wollen mehr Güter auf die Schiene bringen“, sagt Sawane, „aber wir wollen die Leute nicht noch mehr belasten.“

Streit der Parlamentariergruppen

Doch gibt es im Bundestag Zweifel, ob die neue Gruppe dem Ziel eines verstärkten Schienengüterverkehrs wirklich dient oder nicht das Image der Bahn verschlechtert. Geäußert werden solche Zweifel zumal in der älteren Abgeordnetengruppe „Schienenverkehr“, in der auch gefragt wird, was denn eine eigene Gruppe für das Spezialthema Schienenlärm solle.

„Über solche Kritik werden wir natürlich reden“, sagt die Grüne Tabea Rößner von der „Bahnlärm“-Gruppe, „aber nach meiner Ansicht kann es nicht schaden, bei diesem wichtigen Thema für bessere Vernetzung und zusätzlichen Druck zu sorgen und auch Nichtverkehrspolitiker mit ins Boot zu holen.“

Das Thema brenne „vielen Bürgern unter den Nägeln“. Gerade im Mittelrheintal mache „der Lärm der Güterzüge die Menschen mürbe“. Diese Leute wollten „nicht weiter vertröstet werden“.

Zugleich betont Rößner: „Wir haben überhaupt nichts gegen Güterverkehr auf der Schiene, ganz im Gegenteil.“ Man wolle „lediglich dazu beitragen, dass die Koalitionsvereinbarungen zur Reduzierung des Schienenlärms tatsächlich umgesetzt werden. Aber da haben wir allmählich Zweifel, ob es der Bundesregierung und den Verkehrsunternehmen wirklich so ernst damit ist.“

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