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Nordrhein-Westfalen Güterstrecke oder Wohngegend?

Anwohner werfen der Bahn Manipulationen vor

Zwischen Hamm und Oberhausen-Osterfeld haben sich zahlreiche städteübergreifende Bürger-Initiativen gebildet Zwischen Hamm und Oberhausen-Osterfeld haben sich zahlreiche städteübergreifende Bürger-Initiativen gebildet
Zwischen Hamm und Oberhausen-Osterfeld haben sich zahlreiche städteübergreifende Bürgerinitiativen gebildet
Quelle: dpa
Muss die Bahn mehr tun für die Gesundheit von Anwohnern an Güterstrecken? Darüber müssen in Nordrhein-Westfalen bald die Richter entscheiden. Und das könnte für die Deutsche Bahn sehr teuer werden.

Hans-Friedrich Funke zückt sein Diktiergerät. Der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Hamm drückt die Aufnahmetaste, hinter ihm ist gerade ein Güterzug über den Bahndamm in Herten gefahren. „Mit ordentlich gedrosselter Geschwindigkeit“, diktiert er fürs Protokoll. Seine Aufzeichnungen sind wichtiges Material in einem Streit über Lärm am Gleis, der die Bahn je nach Ausgang schwer treffen könnte. In einem ersten Prozesstermin warnten Vertreter des Konzerns bereits davor, die Folgen einer Niederlage im Hertener Streit und eines möglichen Dominoeffektes seien finanziell nicht zu stemmen und existenzbedrohend.

Richter Funke steht etwa 30 Meter entfernt vom Bahndamm zusammen mit seinen beiden Juristenkollegen, mit Anwohnern, Klägern und Vertretern der Bahntochter DB Netz AG. Oft muss der Jurist nach Aktenlage entscheiden, heute will sich das OLG Hamm ein eigenes Bild machen. Vor Ort soll geklärt werden, wo die Kläger wohnen, die sich seit Jahren gegen den Lärm an einer Gütertrasse durch das nördliche Ruhrgebiet wehren. Wie ist das mit dem Lärm? Wirklich so schlimm? Auch nachts?

Die Bahn bestreitet nicht, dass auf der seit 1912 zweigleisig betriebenen Strecke auch in der Nacht alle 20 Minuten ein Zug durchrollt
Die Bahn bestreitet nicht, dass auf der seit 1912 zweigleisig betriebenen Strecke auch in der Nacht alle 20 Minuten ein Zug durchrollt
Quelle: dpa

In das Verfahren und den Ortstermin des Gerichts setzen weitere Anwohner entlang der Strecke große Hoffnung. Zwischen Hamm und Oberhausen-Osterfeld haben sich zahlreiche städteübergreifende Bürgerinitiativen gebildet. Funke muss sich nicht lange umschauen und nur ein paar Meter weit laufen. Dann diktiert er erneut: „Man kann das hier als ruhige Wohnstraße bezeichnen.“ Die Anwohner und Kläger schauen erleichtert. Sie haben schon immer gewusst, was die Bahn bestreitet.

Ihre Häuser stehen direkt neben der rund sieben Meter hohen Bahntrasse in einem reinen Wohngebiet. Geklinkerte Einfamilienhäuser reihen sich aneinander. Die Gärten sind grün, neben einer Hauswand weht die Schalke-Fahne im Wind. In Herten in der Nachbarschaft zu Gelsenkirchen schlägt das königsblaue Herz besonders laut. Erst auf der anderen Seite des hohen Bahndamms ist Gewerbe angesiedelt. Dort liegen ein Supermarkt, der Betriebshof der Stadt und ein Autohaus.

Strengere Vorgaben für Lärmschutz

Wohngebiet, Gewerbegebiet oder eine Mischung aus beidem? Das ist für das Ergebnis der Klage entscheidend. In Wohngebieten gelten strengere Vorgaben für den Lärmschutz. Das Landgericht Bochum hatte sich in der ersten Instanz bei diesem Punkt bereits auf die Seite der Kläger gestellt. Demnach ist der Bahnverkehr zu laut, die Bahn muss passiven Lärmschutz bezahlen. Das tut sie auch in Form von Dämmung für die Häuser und Schallschutz-Fenstern.

Das reicht den Klägern aber nicht. Sie fordern von der Bahn auch aktiven Schallschutz. Dazu müsste der Netzbetreiber zum Beispiel Schallschutzwände bauen, den Zugverkehr einschränken und das zugelassene Tempo von 100 Stundenkilometer pro Stunde auf der Strecke deutlich drosseln. Sechs der Kläger fordern, den Lärmpegel der Züge zu senken. Zwei weitere Kläger wollen weniger Erschütterungen an ihren Häusern erreichen, die durch den Bahnbetrieb ausgelöst werden.

In der ersten mündlichen Verhandlung am OLG Anfang des Jahres hatten die Bahnvertreter wegen dieser Forderung einen Dominoeffekt für das Unternehmen befürchtet und vor den bundesweiten Folgen gewarnt. Bereits im Februar betonten beide Seiten, wegen der grundsätzlichen Bedeutung für eine höchstrichterliche Entscheidung bis vor den Bundesgerichtshof zu ziehen.

Anderer Lärm - andere Krankheit

Lärm ist nicht gut für die Gesundheit. Eine Studie zeigt jetzt jedoch, dass Fluglärm zu Depressionen führen kann. Straßengeräusche steigern dagegen eher das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Quelle: Die Welt

Und so war das Misstrauen beim Ortstermin am Mittwochabend greifbar. „Immer wenn hier Termine oder Messungen sind, fährt kein Zug“, mutmaßte eine Anwohnerin, ihre Nachbarn nicken. Das erwies sich im Laufe des Termins allerdings als übertrieben. Und die Bahn bestreitet auch gar nicht, dass auf der seit 1912 zweigleisig betriebenen Strecke auch in der Nacht alle 20 Minuten ein Zug durchrollt, selbst beim Besuch der Richter.

Allerdings war kaum zu übersehen, dass die Züge deutlich langsamer fuhren als erlaubt. Auch die Aussagen der Anwohner, es seien vor dem Ortstermin noch Schienen auf dem Streckenabschnitt geschliffen worden, werden protokolliert. „Das bringt fünf bis sieben Dezibel weniger Lärmbelastung“, rechnet der Anwalt der Anwohner, Matthias Möller-Meinecke, vor. Funke zückt erneut sein Diktiergerät. Wann das Ergebnis des Termins im Gerichtssaal verhandelt wird, ist noch offen.

dpa

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