LL-Sohle: Wagenhalter treten auf die Bremse - Pläne der Politik zu ehrgeizig

Wiesbadener Kurier, 15.02.2014

Von Barbara Dietel

LL-SOHLE Branche hält Pläne der Großen Koalition für zu ehrgeizig / Bürgerinitiativen schlagen Alarm

REGION - Die meisten Güterwagen rattern heute noch immer mit Graugussbremsen durch das Mittelrheintal, den Rheingau und die Wiesbadener Vororte. Sie rauen die Räder auf und verursachen deshalb enormen Lärm. Seit Juni vergangenen Jahres ist neben der wegen der hohen Umrüstkosten verschmähten K-Sohle auch die LL-Sohle zugelassen. Bis 2016 sollen mindestens die Hälfte der in Deutschland verkehrenden 180 000 Güterwagen auf die sogenannten Flüsterbremsen umgerüstet sein. So steht es im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. Sind es weniger, will die Große Koalition noch in dieser Wahlperiode ordnungsrechtliche Maßnahmen auf stark befahrenen Güterstrecken umsetzen. Gedacht ist zum Beispiel an ein Nachtfahrverbot für nicht umgerüstete Güterwagen.

Die Transportbranche rebelliert. Der Zeitraum sei zu knapp, heißt es in einer Pressemitteilung des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Die Branche habe die Umrüstung der Hälfte ihrer Güterwagenflotte bis 2017 längst zugesagt. Schneller gehe es angesichts der verfügbaren Bremssohlen und der wirtschaftlichen Möglichkeiten nicht, erklärte VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff.

Boni für Schnellumrüster

Die Bürgerinitiativen gegen Bahnlärm schlagen Alarm. „Wenn der im Koalitionsvertrag festgehaltene Druck auf die Betreiber aufgeweicht wird, gehen viele Hoffnungen auf Besserung des derzeitigen Zustandes an der Bahnstrecke verloren“, so Karl Ottes, Sprecher des Rheingau-Bundes gegen Bahnlärm. Wegen der gesundheitlichen Auswirkungen des Bahnlärms auf die Menschen dürften die Bemühungen um Lärm und Erschütterungsminderung nicht nachlassen. So sieht es auch Willi Pusch, Vorsitzender der Bundesvereinigung gegen Schienenlärm und der „Bürgerinitiative im Mittelrheintal gegen Umweltschäden durch die Bahn“. Die Politik sei jetzt gefordert, die im Koalitionsvertrag angedrohten Betriebsbeschränkungen unverzüglich gesetzgeberisch vorzubereiten, so Pusch. Er fordert außerdem, dass diejenigen, die schnell umrüsten, mehr Boni erhalten als diejenigen, die darauf spekulierten, dass Graugussbremsen auch nach 2020 noch erlaubt sind.

Als Indiz dafür, dass die privaten Wagenhalter überhaupt nicht an eine rasche Umrüstung denken, wertet Pusch das Pilotprojekt der VTG Aktiengesellschaft, ein großes Waggonvermiet- und Schienenlogistikunternehmen mit weltweit über 52 000 Güterwaggons. Ganze zwölf Waggons wolle die Gesellschaft in den nächsten eineinhalb Jahren umrüsten, um überhaupt erst einmal Informationen über die Laufleistung und den zusätzlichen Unterhaltungsaufwand zu sammeln. Das zeige auch, dass die Wagenhalter den vorhandenen Untersuchungen nicht trauten. Das Problem ist, dass die LL-Sohle häufiger gewartet werden muss und der Radverschleiß höher ist. Mit betrieblichen Mehrkosten von 700 bis 800 Millionen Euro rechnet der VDV bei gleichmäßiger Umrüstung der Flotte bis zum Jahr 2020. Die Bundesregierung will zwar laut Koalitionsvertrag die Umrüstung auf die Flüsterbremsen weiter bezuschussen, eine Beteiligung an den Betriebskosten stand bis dato jedoch nicht zur Debatte. Der VDV hat vorgeschlagen, die betrieblichen Mehrkosten über fünf Jahre befristet zu fördern. Wer schnell umrüste, dürfe im Wettbewerb nicht gegenüber solchen Unternehmen zurückfallen, die wegen der höheren Betriebskosten die Umrüstung herauszögerten, fordert auch der stellvertretende Vorsitzende der Vereinigung der Privatgüterwagen-Interessenten (VPI), Rainer Zechendorf. Der VDV hat unterdessen eine Studie an der Technischen Universität Aachen in Auftrag gegeben, die die betrieblichen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Fahrverboten und Geschwindigkeitsreduzierungen im Schienengüterverkehr untersucht. Es sei nicht zielführend, dass Schienengüterverkehrsunternehmen wegen der Umrüstung in ihrer Existenz bedroht würden. Außerdem werde ein Nachtfahrverbot auch die Fahrgäste treffen. Sie müssten Verspätungen erdulden, weil Güterzüge, die nachts nicht fahren dürften, dann tagsüber unterwegs seien, erklärt Wolff.

 

 
 

LEXIKON

Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV): Im VDV sind rund 600 Unternehmen des Öffentlichen Personennahverkehrs und des Schienengüterverkehrs organisiert. Täglich ersetzen die Güterzüge nach Angaben des VDV rund 77 000 voll beladene Lkw.

Vereinigung der Privatgüterwagen-Interessenten (VPI): Die VPI ist der deutsche Verband der International Union of Wagon Keepers (UIP). Zu den 170 Mitgliedern zählen Firmen aus der Transportbranche, vor allem Vermieter von Güterwagen. Der VPI gehören aber auch Wagenmieter an, insbesondere Unternehmen der Chemischen Industrie und der Mineralölwirtschaft sowie Werke, die Güterwagen bauen, umrüsten und instand halten. Insgesamt bringen die Mitgliedsunternehmen über 63 000 Güterwagen auf die Schiene (Quelle: VDV und VPI).

 
 

 

 

 

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