Gesamtkonzept zur Lärmsanierung an Schienenwegen

Stellungnahme der BVS

Stand: 22.10.2009

Seit 1980 forderte der Deutsche Bundestag wiederholt die Bundesregierung auf, ein Sonderprogramm zur Lärmsanierung an Schienenwegen vorzulegen, um sicherzustellen, dass Lärmschutz auch an bestehenden Schienenwegen gewährt werden kann. Seit 1999 gibt es nun dieses Sonderprogramm. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings wird die Lärmsanierung bisher nur mit 51 Millionen Euro jährlich gefördert . Die Summe liegt weit unter der Summe, die die derzeitige Regierung als Opposition stets gefordert hatte. Insofern ist allen Verantwortlichen klar, dass – bei einem ermittelten Finanzbedarf von insgesamt 2,4 Mrd. Euro - das Lärmsanierungsprogramm bisher deutlich unterfinanziert ist. Tatsächlich wäre der Finanzbedarf sogar noch weit höher, denn die Grenzwerte für die Lärmsanierung mit 70 dB(A) tags und 60 dB(A) nachts (Wohngebiet) liegen - unter gesundheitlichen Aspekten betrachtet – zu hoch. In der Verkehrslärmschutzverordnung sind zur Vermeidung von Gefahren durch erhebliche Belästigungen Immissionsgrenzwerte festgelegt, die deutlich unter den Zielwerten des Richtlinienentwurfs liegen. Mit der Sanierung im Sinne der o. g. Richtlinie werden weiterhin bewusst schädliche Umwelteinwirkungen den Anwohnern von Schienenwegen zugemutet. Eine gesetzliche Regelung zur Lärmsanierung an Schienenwegen – mit korrigierten Grenzwerten – ist überfällig.

“Die gegenwärtige Praxis des Bundes und einiger Länder, Lärmsanierung zu betreiben entsprechend der Haushaltslage – aber ohne Rechtsanspruch der Betroffenen -, reicht nicht aus, zumal die dabei angewandten Sanierungs- Immissionsgrenzwerte wesentlich zu hoch sind.“ (S. SPD - Antrag „Minderung des Verkehrslärms an Straßen und Schienen“, Forderung eines Verkehrslärmschutzgesetzes, Drucksache 13/1042; 03. 04. 95)

„Das Fehlen... eines Rechtsanspruchs auf Lärmsanierung auch für den Schienenverkehr ist rechtsstaatlich bedenklich... Es ist dem Gesetzgeber dringlich anzuraten, diesen Anspruch zu legitimieren.. Wir haben eigentlich das verfassungsdogmatische Problem: was machen wir mit dem schweigenden Gesetzgeber als Richter, was machen wir sozusagen mit dem unterlassenen Gesetzgeber, der seinen Schutzpflichten nicht nachkommt?“ (Dr. Dr. Jörg Berkemann, Richter am Bundesverwaltungsgericht, Sachverständiger in der Anhörung des Ausschusses für Verkehr zum SPD- Antrag „Minderung des Verkehrslärms an Straße und Schiene“,17.1.1996)

Zum Verhältnis der Richtlinie zur Umgebungsrichtlinie

Den Ansprüchen der Umgebungsrichtlinie genügt der Entwurf der o. g. Richtlinie nicht. Die Umgebungslärmrichtlinie wird in absehbarer Zeit in das deutsche Recht überführt . Sie enthält ein Konzept , um schädliche Auswirkungen des Umgebungslärms zu verhindern, ihnen vorzubeugen oder sie zu mindern. Sie enthält u. a. die Forderung, für Haupteisenbahnstrecken strategische Lärmkarten auszuarbeiten und für deren Umgebung Aktionspläne aufzustellen. Sie enthält auch genaue Vorgaben zur Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Erarbeitung von Aktionsplänen. In der o. g. Richtlinie ist nicht zu erkennen, in welcher Weise die von Schienenlärm Betroffenen an der Erarbeitung der Aktionspläne beteiligt werden. Auch ist nicht zu erkennen, nach welchen Gesichtspunkten die von Schienenlärm Betroffenen passive Schallschutzmaßnahmen hinnehmen müssen, von denen bekannt ist, dass sie nur unzulänglich vor gesundheitsgefährdendem Lärm schützen. Die o. g. Richtlinie sollte die Instrumente, Methoden und Ziele der Umgebungslärmrichtlinie in das Konzept der Lärmsanierung einfließen lassen.

Zum aktiven / passiven Lärmschutz

Zuwendungsempfänger der Kostenerstattung für Aufwendungen zum Schallschutz sind Eisenbahnstrukturunternehmen des Bundes. Die zu schützenden Menschen sind von der Entscheidung des Eisenbahnunternehmens abhängig, ob aktiver Schallschutz oder Schallschutzmaßnahmen an den Gebäuden vorgenommen werden. Es ist für die betroffenen Anwohner wenig akzeptabel, in diesem Sinne vom Verursacher der Lärmbeeinträchtigungen abhängig zu sein und mit ihm Art und Weise der Schallschutzmaßnahmen an ihrem Eigentum verhandeln zu müssen.

Zur Frage: Ist die Ermittlung der Priorität gerecht?

Die Formel zur Ermittlung der Priorisierungskennzahl PKZ ist für eine eindeutige Erfassung nicht geeignet.. An dieser Stelle möchte die BVS den Vorschlag wiederholen, in derartigen Fällen sich doch einmal an Fachleute zu wenden. Diese sind an den mathematisch /naturwissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten im gesamten Bundesgebiet zu finden. Die o. g. Formel soll dem Anwender Genauigkeit – ja Objektivität - suggerieren, ist aber nur eine pseudowissenschaftliche Krücke, die eine beliebige Auslegung zulässt, was zu Ungerechtigkeit und einer gravierenden Benachteiligung von Betroffenen führen kann. Die im Gesamtkonzept angegebene Formel zur Ermittlung der Prioisierungskennzahl PKZ ist in dieser Form abzulehnen. ( s. Anlage 3: Übungsaufgabe für Bauingenieure)

Zur Gleispflege

Ziel der o. g. Richtlinie soll sein, dass durch gewählte Maßnahmen „grundsätzlich die Lärmsanierungswerte nach § 4 Abs.3 mindestens erreicht oder unterschritten werden.“ Verschiedene Maßnahmen werden aufgezählt, die zum Ziel führen sollen. Eine davon ist das BüG. (S. 3, §2 Abs.1) Vom BüG heißt es: „Es sind alle Streckenabschnitte auszuweisen, auf denen das Verfahren „Besonders überwachtes Gleis“ als Lärmsanierungsmaßnahme durchgeführt wird. Dabei ist jeweils anzugeben, in welchem Jahr zuletzt geschliffen wurde.“ (S. 3, §2 Abs.3)

Die Bundesvereinigung gegen Schienenlärm hält die Maßnahme BüG zur Lärmsanierung an Schienenwegen für wenig geeignet. Die Maßnahme BüG wird auf Strecken, die durch Güterzüge belastet sind, nicht angewendet. In der o. g. Richtlinie wird jedoch kein Unterschied gemacht zwischen Güter- und Personenverkehr. Nachts fahren jedoch überwiegend Güterzüge. Im Anhang 2 des Gesamtkonzept Lärmsanierung ist die Lärmbelastung des Streckennetzes der DB AG kartografisch abgebildet entsprechend des jeweiligen nächtlichen Emissionspegels (s. auch S.6, 4.3 des Gesamtumfang der Lärmsanierung) - ohne Differenzierung von Güter- und Personenverkehr.

Die Verriffelung von Schienenstrecken hängt davon ab, wie hoch diese belastet sind. Auswertungen von Datenbanken über Schienenverkehrslärm zeigen, dass zur Erfassung von Verriffelungen die Zeiträume zwischen zwei Messfahrten von der Streckenbelastung abhängig sein müssen. Eine starre zeitliche Regelung für Pflegemaßnahmen - wie für das BüG - ist nicht sachgerecht. Die Auskunft, in welchem Jahr zuletzt geschliffen wurde, ist für die Beschreibung eines Verriffelungsgrades irrelevant

Bei der Berechnung der Lärmbelastung wird, wenn es sich nicht um ein BüG -Gleis handelt, von einem „durchschnittlich guten Schienenzustand“ ausgegangen im Sinne der 16. BImSchV. Für diesen Schienenzustand wird der „Grundwert“ auf 51 dB(A) festgesetzt. Um den Schienenzustand so zu erhalten, dass der Grundwert von 51 dB(A) nicht überschritten wird, muss das Gleis – je nach Beanspruchung – in mehr oder weniger kurzen Abständen überprüft und u. U. geschliffen werden. Andernfalls können sich – auch nach Untersuchungen der DB AG - Differenzen bis über 20 dB(A) ergeben. D. h. nach Durchführung einer Lärmsanierungsmaßnahme könnte tatsächlich eine um 20 dB(A) höhere Lärmbelastung vorliegen als angenommen, wenn der „durchschnittlich gute Schienenzustand“ nicht angemessen überprüft wird. Da eine angemessene Überprüfung und Pflege jedoch bisher nicht vorgesehen ist, kann die Effektivität einer Lärmsanierungsmaßnahme erheblich in Frage gestellt werden. Es sollte daher die Überprüfung und Pflege des „durchschnittlich guten Schienenzustandes“ in Abhängigkeit zur Beanspruchung der Strecke in der Richtlinie geregelt werden. Eine regelmäßige Überprüfung und Pflege des Schienenzustands ist die wichtigste Voraussetzung dafür, dass lärmmindernde Maßnahmen wie die K-Sohle oder weitere akustische Verbesserungen an Schienenfahrzeugen voll wirksam werden können.

1. D. Windelberg: Lärmbelästigung durch ungepflegte Gleise, Zeitschrift für Immissionsschutz 5 (2000), 134 -140

2.D. Windelberg: Theorie der Gleispflege, Zeitschrift für Immissionsschutz 7 (2002), 4 – 8

3. Übungsaufgabe Nr.28.5 für Bauingenieure: Priorisierungskennziffer; Universität Hannover, Institut für Mathematik

 

 

 

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