Zur geplanten Überarbeitung der „Schall 03“ - 2002

24.04.2002

Die Erarbeitung der z. Z. gültigen Schall 03 durch die vormalige Deutsche Bundesbahn ist formal nicht in gleicher Art und Weise wie z.B. bei DIN-Normen oder VDI-Richtlinien erfolgt. Auf eine ausgewogene Zusammensetzung der jeweiligen Arbeitsgremien für die „Schall 03“ wurde wenig Wert gelegt. Noch niemals wurde es bisher den Betroffenen über ihre Interessenvertretungen ermöglicht, ebenfalls  kompetente Sachverständige für die jeweiligen Arbeitsgremien vorzuschlagen. Das Vorschlagsrecht nahm hauptsächlich die Deutsche Bundesbahn, bzw. die DB AG für sich in Anspruch, was in der Vergangenheit zu fragwürdigen Zusammensetzungen der „Schall 03 – Arbeitskreise“ geführt hat. So rief  z. B. am 9.10.96 die DB AG nach jahrelanger sitzungsfreier Zeit kurzfristig in den Herbstferien den Arbeitskreis „Schall 03“ zu einer Ausschusssitzung zusammen, um über den „vorbehaltlosen“ Schienenbonus für den Transrapid abstimmen zu lassen.  Die Teilnehmerliste (Abstimmungsberechtigte und Gäste) der Sitzung setzte sich aus folgenden Vertretern zusammen: DB AG (7 Vertreter), Ingenieurbüros, die häufig oder überwiegend für die DB arbeiten (9), Bundesanstalt für Straßenwesen (1), Umweltbundesamt (1), Bundesumweltministerium (1), Bayer.Landesamt für Umweltschutz (1), Bundesverkehrsministerium (2) und einem Gast aus Österreich. (s. dazu  Stichwortkatalog/Transrapid).

Nun plant die DB , die „Schall 03“ und die „Akustik 04“ zu  überarbeiten und hat bereits damit begonnen, die Teilnehmer für die Arbeitskreise im Benehmen mit den zuständigen Bundesbehörden auszuwählen, wobei das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen federführend ist.. Die Bundesvereinigung gegen Schienenlärm (BVS) bemüht sich z. Z. darum, ebenfalls Sachverständige für die Arbeitsgruppen vorschlagen zu dürfen, was bei der DB  und ganz besonders im Bundesverkehrsministerium auf massive Vorbehalte stößt. Es ginge um reine Physik und wäre somit Arbeit für Sachverständige - nicht für die BVS, der es nur um ihre eigenen Interessen ginge (K. Jäger, DB München). Außerdem seien die Vertreter der BVS Betroffene und somit befangen (Neuhöfer, BMV). Die Frage, ob diese Vorbehalte nicht ebenso für die DB gelten könnten, blieb unbeantwortet.

Schienenbonus: Bahn fürchtet Verlust seiner Akzeptans

Die Bundesvereinigung gegen Schienenlärm beschäftigt sich seit  Jahren besonders mit der Messung und Bewertung von Schienenlärm und hat in den vergangenen Jahren immer wieder  fachwissenschaftliche Untersuchungen zu speziellen Fragen – besonders zum Schienenbonus und zum „besonders überwachten Gleis“ (BüG) - angeregt, die u.a. in der Zeitschrift für Lärmbekämpfung und in der Zeitschrift Immissionsschutz veröffentlicht wurden. Erst vor wenigen Tagen ist wieder ein Artikel zum BüG in der Zeitschrift für Immissionsschutz erschienen ( „Theorie der Gleispflege“ , Immissionsschutz 7  (2002), 4-8). All diese Veröffentlichungen machen deutlich, dass bei der Berechnung des Schienenlärms nach Schall 03 Parameter, die für den Schienenlärm ausschlaggebend sind, z. T. nicht präzise definiert oder sogar ganz  vernachlässigt werden –zum Nachteil für die Betroffenen.

Die seit Jahren vorgebrachten Bedenken – besonders auch in zahlreichen Klageverfahren - gegenüber den Berechnungsmethoden der z. Z. gültigen Schall 03 haben dazu geführt, dass die DB  in ihrer Prioritätenliste für die Fortschreibung der Schall 03 u.a. auch den Schienenbonus überarbeiten will mit der Begründung, dass „der veränderte Schienenverkehr in der Bevölkerung zu Zweifeln an der Berechtigung des Schienenbonus“ geführt hat. („Dichtere Zugfrequenz, höhere Geschwindigkeiten u.s.w.“). Ein Problem sieht die DB darin, dass eine „immer größere Abneigung gegenüber dem Schienenbonus“ zu befürchten sei, „wenn nicht die Begründung für diesen auf die Basis neuer Erkenntnisse gestellt wird. Dieser Zusammenhang ist in der Schall 03 festzuhalten.“

Zweifel am Schienenbonus

Die Zweifel an der Berechtigung des Schienenbonus liegen darin, dass der Schienenbonus von der DB  bisher generell in Anspruch genommen wird – gleichgültig wie hoch eine Schienenstrecke belastet ist. Die bisherigen – von der DB  in Auftrag gegebenen – Untersuchungen zur psychologischen Wirkung von Schienenlärm im Verhältnis zu Straßenlärm gingen aber alle von durchschnittlichen Belastungen einer Strecke aus. Extremsituationen sollten nicht untersucht werden.

Nun kann man sicherlich trefflich darüber streiten, ob die psychologische Wirkung, die von einer extrem belasteten Strecke ausgeht, vernachlässigt werden kann. Gleichgültig zu welchem Ergebnis diese Auseinandersetzung führt, man kommt an der Frage nicht vorbei, ob unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten eine Übertragung der vorliegenden Untersuchungsergebnisse  auf Extremsituationen zulässig ist. Bei der Festlegung der Untersuchungsgebiete wurden „Extremsituationen“ vermieden, z. B. Schienenwege mit sehr hoher Vorbeifahrthäufigkeit (mehr als 250 Züge/24h), sehr hohe Geschwindigkeit ( >250 km/h), reine bzw. vorwiegende Güterzugstrecken und Gebiete mit sehr geringem Abstand zwischen Wohngebäuden und Schienenwegen (<50m) (ZfL 47 (2000), 229-231). Gerade an Eisenbahnstrecken gibt es häufig Wohnbebauung  in unmittelbarer Nähe der Gleise, was u. a. an den fehlenden Anbauverbotszonen  – im Gegensatz zu den Straßen – liegt. so dass sich beim Herannahen schneller Züge steile Pegelanstiege, also lästige Pegelverläufe ergeben. Ist es gerechtfertigt, auch bei diesen Verhältnissen den Schienenbonus in Ansatz zu bringen?

Auch wenn durch die Rechtsprechung inzwischen eine Extrapolation des Schienenbonus auf Extremsituationen (586 Züge in 24/h) legitimiert wurde (Bay VGH, 15.1.01., 20 A 99.40024,S.22), ist damit die Frage nach der Legitimation einer derartigen Extrapolation wissenschaftlich noch lange nicht gesichert. Sind Lärmpausen von jeweils 2,54 Minuten bei einer gleichmäßigen Verteilung von 586 Züge über 24/h unter gesundheitlichen Aspekten so unbedenklich, dass der Schienenbonus in Höhe von 5 dB(A) berechtigt ist u.a. mit dem Hinweis, dass sich die Lärmpausen durch die „teilweise Überschneidung der Züge ja noch verlängern können“? (Bay VGH) ?

Hinter der geplanten Überarbeitung der Schall 03 steht offensichtlich die Absicht, die generelle Anwendung des Schienenbonus zu sichern, nachdem „in der Bevölkerung die Zweifel an der Berechtigung des Schienenbonus“ immer lauter geworden sind.

Ausgewogwne Zusammensetzung der Arbeitsgruppen?

Für die Fortschreibung der Schall03 soll es u. a. vier Arbeitsgruppen geben. Es wird die Aufgabe des Arbeitsgruppe Immissionen sein, den o.g. „Zusammenhang in der Schall 03 festzuhalten“. Den Zusammenhang zwischen den bisher vorliegenden Untersuchungsergebnissen und einer generellen Anwendung des Schienenbonus herzustellen, gelingt natürlich leichter, wenn alles in einer Hand bleibt. Deshalb hat die DB  einen Ingenieur als Leiter für die Arbeitsgruppe ausgewählt, der schon immer maßgeblich an den Untersuchungen zum Schienenbonus beteiligt war, der vielfach in Klageverfahren, wenn es um die o. g. Zweifel von Betroffenen an der Berechtigung des Schienenbonus ging,  für die DB  als Gutachter tätig war und der nun seine  - im Auftrag der DB gemachten - Untersuchungsergebnisse bei der Überarbeitung der Schall 03 „festhalten“ soll, obwohl er andererseits der Meinung ist, dass eine „Extrapolation seiner Untersuchungsergebnisse auf deutlich abweichende Situationen uneingeschränkt nicht möglich“  und somit z. B. „eine Untersuchung zum Schienenbonus bei hohen Zugfrequenzen (> 250 Vorbeifahrten /24 h) wünschenswert“ sei (ZfL 47 (2000), 229-231).

Jeder Mensch mit Lebenserfahrung weiß, dass in Ausschüssen und Arbeitsgruppen nicht nur Fachwissen behandelt wird, sondern auch Interessen vertreten werden. Nicht umsonst gibt es Parteigutachten und Obergutachten. Wenn die Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, mit „reiner Physik“ zu beantworten wären, dann gäbe es keinen Schienenbonus, denn physikalisch wird Lärm durch Messgeräte gemessen, für die Straßenlärm und Schienenlärm gleich sind. Wenn also von durchschnittlichen auf extreme Situationen extrapoliert werden soll, werden auch medizinische Gesichtspunkte wichtig.

Hier konnte nur auf einen der vielen Problembereiche aus der Prioritätenliste für die Fortschreibung der Schall 03 eingegangen werden. Dieses Beispiel zeigt aber deutlich , wie notwendig eine ausgewogene Zusammensetzung der jeweiligen Arbeitsgremien für die Akzeptanz einer überarbeiteten Schall 03 ist. Da die DB und das Bundesverkehrsministerium bisher die Forderung der Betroffenen ablehnt, über ihre Interessenverbände ebenfalls Sachverständige für die einzelnen Arbeitsgruppen zu benennen, bleibt zu hoffen, dass die Forderung nach einer ausgewogen zusammengesetzten Schall 03 Kommission auch von anderer Seite hinreichend deutlich gestellt wird. Diese Forderung wird im übrigen auch von den Umweltbehörden des Bundes und der Länder unterstützt.
Sibylla Windelberg 

 

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