Fortschreibung von Rechtsnormen unter dem Mantel der Vertraulichkeit?

erschienen in Zeitschrift für Lärmbekämpfung Nr2-2004

Verordnungen zur Regelung des Verkehrslärms dürfen nicht alt werden, wenn sie denn ihrer Aufgabe gerecht werden sollen: den Verkehrslärm durch Berechnung der  Schallemission und  Immission realistisch zu erfassen. Neue Forschungsergebnisse und die sich ständig fortentwickelnde Technik  erfordern eine Überarbeitung. Anderenfalls  kann die Anwendung des Regelwerkes zu fragwürdigen Ergebnissen führen. Wachsende Kritik an seinen überholten Berechnungsmethoden führen dann zunehmend zu Auseinandersetzungen u. a.  bei der Durchsetzung von Lärmschutzmaßnahmen in Planfeststellungsverfahren

Die Richtlinie Schall 03 /Akustik 04 ist 14 Jahre alt. Die Untersuchungen, auf welchen diese Richtlinie basiert, liegen 20 Jahre zurück. Um Rechtssicherheit hinsichtlich künftiger Neubauprojekte zu erhalten, ist neben den Betroffenen auch die Deutsche Bahn AG (DB AG) an einer Überarbeitung der Schall 03 interessiert. Zuständig für die Überarbeitung der Richtlinie Schall 03 ist das Bundesministerium  für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW). Nach einem Projektvorschlag der DB AG erarbeiten z. Z. vier Arbeitsgruppen Formulierungsvorschläge zur Fortschreibung der Schall 03/Akustik 04. Zur Wahrung der öffentlichen und politischen Belange werden die Vorschläge einem projektbegleitenden Lenkungskreis vorgestellt, der die Aktivitäten verfolgen, bewerten und steuern soll. Die Geschäftsführung liegt beim BMVBW,  die Projektleitung bei der DB AG.

Die gestellte Aufgabe ist anspruchsvoll. Vor- und Nachteile für die Betroffenen  und die DB AG sind im Lenkungskreis sorgfältig abzuwägen. Es liegt in der Verantwortung des BMVBW, diesen Abwägungsprozess nachvollziehbar zu dokumentieren und einseitigen Abstimmungsergebnissen vorzubeugen. Erste Voraussetzung ist es daher, dass der Lenkungskreis ausgewogen zusammengesetzt ist. Zweite Voraussetzung ist, dass die Geschäftsleitung zu Beginn des Projektes präzise den Arbeitsauftrag vorstellt und zügig eine Geschäftsordnung auf den Weg bringt, in der das Ziel des Projektes und die Regeln, welche die Teilnehmer zu berücksichtigen haben, klar formuliert  sind. Eine Gesprächs- und Protokollführung ist zu stellen, Berichte, Positionen, Anträge und Abstimmungsergebnisse im Protokoll genau festzuhalten und dieses innerhalb von vier Wochen an die Teilnehmer weiterzuleiten.

Das BMVBW hat schon viele Verordnungen auf den Weg gebracht. Inzwischen erledigt das BMVBW eine derartige Aufgabe scheinbar  nebenbei. Als Begründung wird Arbeitsüberlastung angegeben. Eine sorgfältige Vor- und Nachbereitung von Sitzungsverläufen findet nicht statt. Stundenlang diskutieren die Mitglieder des Lenkungskreises zu Beginn des Projektes über dessen Ziel, über eine (unvollständige) Geschäftsordnung wird erst 1 ½ Jahre später abgestimmt. Niemals wird ein Sitzungsprotokoll innerhalb von 4 Wochen an die Teilnehmer weitergeleitet - trotz wiederholter Aufforderung. Monate vergehen in der Regel bis es vorliegt. Mehr als acht Monate kann es dauern, bis die Teilnehmer des Lenkungskreises das Protokoll der letzten Sitzung erhalten. Ein Protokollant ist im BMVBW auch nach mehr als 1½  Jahren Projektarbeit nicht zu finden. Wegen Arbeitsüberlastung im eigenen Hause überrascht das BMVBW die Mitglieder des Lenkungskreises sogar mit dem Vorschlag, die DB AG  könne - neben der Projektleitung – auch noch die Geschäftsführung übernehmen.  Erst im Nachhinein ist dem BMVBW wohl die Problematik seines Vorschlags klar geworden. Die DB AG lehnte ab.

„Einvernehmlich“ wird zu Beginn des Projektes festgehalten, „dass zur Vermeidung von Interessenkonflikten stimmberechtigte Mitglieder des Lenkungskreises – soweit möglich – nicht Mitglied von Arbeitsgruppen sein sollten“. Diese Absicht wird nicht umgesetzt. „Einvernehmlich“ fassen die Teilnehmer des Lenkungskreises folgenreiche Beschlüsse zur Fortschreibung der Schall 03, ohne dass jemals z. B. die Stimmberechtigung der Mitglieder festgelegt worden wäre. Werden Beschlüsse im Konsens gefasst, ohne Berücksichtigung der Stimmberechtigung, haben praktisch alle Teilnehmer des Lenkungskreises, eine Stimme,  u. a. also auch die ständigen Gäste im Lenkungskreis – alles Mitglieder der Arbeitsgruppen und überwiegend Vertreter der  DB AG. Vertreter des Umweltschutzes, die sich im Sinne der Betroffenen für eine Verbesserung und keine Verschlechterung des Lärmschutzes einsetzen, wirken unter den geschilderten Gegebenheiten scheinbar eher störend. Es besteht die Gefahr, dass der Abwägungsprozess zwischen den Interessen der DB AG und den Interessen der Betroffenen zu einem unausgewogenen Ergebnis führt.

Mehr als eine Kritik am Vorgehen sei hier nicht ausgesprochen, da die „Ergebnisse der Arbeit“ des Lenkungskreises vertraulich zu behandeln sind. Wie  weit aber reicht der schützende Mantel der Vertraulichkeit? Ich meine nicht so weit, als dass das BMVBW sich  mit seiner Geschäftsleitung  „mit der linken Hand“ darunter verstecken könnte. Schließlich steht die Akzeptanz einer neuen Richtlinie auf dem Spiel.

Sibylla Windelberg

 

 

 

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